Der gesellschaftliche Strukturwandel: Der Rückgang der Landwirtschaft

Im Mittelalter bedurfte es noch etwa 80 Bauern um 20 Städter halbwegs satt zu bekommen, heute genügt ein einziger Landwirt, um mehr als 100 Menschen zu ernähren. Der (zahlenmäßige) Rückzug der Landwirtschaft ist der zentrale Indikator der gesellschaftlichen Entwicklung in der Menschheitsgeschichte – vom Jäger und Sammler bis zum „Homo digitalis“, zum Menschen, des Computerzeitalters.

Wo stehen wir heute in diesem fundamentalen Entwicklungsprozess? Was schätzen Sie, wie viel Prozent der Menschen in der ganzen Welt arbeiten heute noch als Bauern? Zur groben Orientierung: In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts lag der Anteil der Landwirte in Deutschland noch bei etwa 35 Prozent. Diese Zahl ist bis heute auf knapp über 1 Prozent geschrumpft. Wie aber sieht es auf globaler Ebene aus?

Haben Sie eine Zahl im Kopf? Dann will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen, jetzt bekommen Sie die Gelegenheit, Ihre Einschätzung zu überprüfen. Hier sind also die Zahlen:

Bewegten wir uns an der Jahrhundertwende (2000) weltweit in etwa auf dem Level Deutschlands in den 30er Jahren, so liegen wir jetzt schon deutlich darunter. Und die Entwicklung geht so weiter, allerdings vermutlich in etwas langsamerem Tempo. Betrug der jährliche Rückgang zwischen 2000 und 2010 noch etwa 0,5% so ist er zwischen 2010 und 2017 auf 0,3% geschrumpft.

Diese globalen Zahlen dienen jedoch nur als ein grober Anhaltspunkt, denn es sind Durchschnitts­zahlen. Wie unterschiedlich die Lage in den einzelnen Ländern ist, zeigt folgende Karte.

Ich will diese Karte nicht im Detail kommentieren, denn ihr Zweck besteht vor allem darin, die Vielfältigkeit der globalen Lage aufzuzeigen. Das Minimum von 0,1 ist irreführend, denn es ist der Wert von Singapur, einem fast reinen Stadtstaat. Der erste Flächenstaat mit einer sehr geringen Agrarbevölkerung ist erstaunlicherweise Argentinien, wo nur noch 0,5 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig sind. Dann folgen die klassischen europäischen Industriestaaten England, Deutschland, Belgien, wo der Landwirtschaftsanteil bei rund einem Prozent liegt.

Am anderen Ende der Skala liegen erwartungsgemäß die afrikanischen Länder. Das Maximum von mehr als 90 Prozent wird von Burundi gehalten, gefolgt von Tschad, Somalia und Malawi.

Die Länder, in denen der Anteil der Landwirtschaft an den Erwerbstätigen noch bei über 70 Prozent liegt:

Die meisten Länder, die noch sehr stark agrarisch geprägt sind, liegen wie gesagt auf dem Kontinent Afrika, davon gehören allerdings drei zur Region der arabischen Länder. In Asien gibt es nur noch ein einziges Land mit einem so hohen Landwirtschaftsanteil: Nepal.

Einen besseren Überblick über die globale Situation erhalten wir durch einen Blick auf die Ebene der Weltregionen. Die folgenden Karten stellen die Entwicklung im Zeitraum von 2000 bis 2017 dar.

Diese beiden Karten sprechen eigentlich für sich selbst. Dennoch haben sie aber nur einen begrenzten Aussagewert. Diese Art von Karten hat einen methodischen Nachteil, sie ist schwellenabhängig. Was ist damit gemeint? Wir verwenden hier fixe Schwellen, um die Veränderung darstellen zu können. Die Veränderungen innerhalb der Schwellen werden damit aber ausgeblendet. Wir könnten natürlich eine größere Zahl von Schwellen verwenden, aber es gibt noch eine bessere Methode, nämlich Diagramme, in denen gar keine Schwellen vorkommen.

Dieses Doppel-Diagramm ist sehr aussagekräftig, zeigt es doch sowohl den Status als auch die Veränderungstrends. Dennoch ist es sinnvoll es mit einem weiteren Diagramm zu ergänzen, das nur die Veränderungen zeigt.

Hier ist klar erkennbar, dass der Strukturwandel weg von der Landwirtschaft im Zeitraum 2000 bis 2017 seine größte Dynamik in Asien, besonders in Ostasien entwickelt hat. Aber erstaunlicher Weise hat sich auch in den Industrieländern der Anteil der Landwirtschaft an den Erwerbstätigen noch einmal deutlich verringert, fast halbiert.

Dies trifft aber nicht mehr für die Länder am absoluten Minimum zu. Zwischen 2010 und 2017 ist der Landwirtschaftsanteil in Ländern wie England, Belgien oder Deutschland nur noch wenig zurückgegangen.

Ist dies ein Indikator dafür, dass die weitere Mechanisierung und Industrialisierung der  Nahrungsmittelproduktion langsam an ihre Grenzen stößt? Dabei geht es nicht nur um Arbeitskräftereduzierung durch die Automatisierung und Digitalisierung. Nicht weniger wichtig dürfte sein, dass auch die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz (insbesondere bei der Massentierhaltung) erreicht werden.